Seldschuken

Seldschuken
I
Seldschụken,
 
alttürkisches Herrschergeschlecht (um 1040-1157, in Anatolien bis 1308), stammte von Seldschuk (um 1000) ab, einem Häuptling der Ogusen in Turkestan, der mit seinem Stammesverband den islamischen Glauben angenommen und sich im Dienst der persischen Samaniden in Transoxanien niedergelassen hatte. Seldschuks Enkel Tschagribeg (✝ 1059) und Togrilbeg (✝ 1063) besiegten 1040 bei Dandankan (westlich von Merw) den Ghasnawidenherrscher Masud I. (1030-41). Tschagribeg wurde Herrscher in Ostiran (Khorasan), während Togrilbeg sich nach Westen wandte. 1055 zog er in Bagdad ein und befreite den Kalifen von der Herrschaft der schiitischen Bujiden. Wenig später verlieh ihm der Kalif den Titel Sultan. Tschagribegs Sohn Alp Arslan (1063-72) erbte beide Reichsteile. Unter ihm und seinem Sohn Melikschah (1072-92) erreichte das Reich der Großseldschuken seine größte Ausdehnung und wurde zum mächtigsten Staat im Vorderen Orient. Maßgeblichen Anteil am Wiedererstarken des sunnitischen Islam hatte dabei der Wesir Nisam al-Mulk, v. a. durch die Gründung von Hochschulen, an denen die bedeutendsten Gelehrten der damaligen Zeit lehrten. Die türkischen Nomadenstämme, denen die Dynastie ihre Siege verdankte, die aber immer mehr die innere Sicherheit bedrohten, wurden zu neuen Aufgaben an die Grenze zum Byzantinischen Reich verwiesen. Alp Arslans Sieg über Byzanz bei Mantzikert (1071) öffnete den Seldschuken den Weg nach Anatolien und zeitweise bis nach Syrien und Mesopotamien. Das großseldschukische Reich zerfiel seit 1092 unter rivalisierenden Prinzen, obwohl Melikschahs Sohn Mohammed (1105-18) noch einmal kraftvoll regierte. Sein Bruder Sandschar (1118-57) konnte sich jedoch nur noch in Khorasan behaupten. Das Reich löste sich in Kleinfürstentümer unter verschiedenen seldschukischen Linien auf, von denen die der anatolischen Seldschuken oder Rumseldschuken (Rum) die wichtigste war.
 
In Kleinasien begründete ein entfernter Verwandter Alp Arslans, der Seldschukenprinz Süleiman (✝ 1086), in den 70er-Jahren des 11. Jahrhunderts eine Herrschaft, aus der das Sultanat der anatolischen Seldschuken oder Rumseldschuken (Hauptstadt Konya) entstand. Die Rumseldschuken drängten das Byzantinische Reich mehr und mehr zurück (1176 Sieg bei Myriokephalon). Sie entfalteten eine blühende Bautätigkeit, von der heute z. B. Konya und Kayseri zeugen, und brachten viele neue Elemente in die islamische Kunst ein. Auch die Literatur, lange in persischer Sprache (Djalal od-Din Rumi), seit etwa 1277 auch in türkischer, gelangte zu hoher Blüte. Zu den türkischen Dichtern dieser Zeit gehören u. a. Sultan Veled und Junus Emre. Die wichtigsten Herrscher der Rumseldschuken waren Kilidsch Arslan II. (1156-92), Kaikawus I. (1210-19) und v. a. Kaikobad I. (1219-36), unter dem das Reich seine größte Ausdehnung erreichte (von Ostanatolien bis weit in den Westen Kleinasiens hinein). Sie legten den Grund zur Türkisierung Anatoliens. 1243 eroberten die Mongolen das Land. Sie duldeten die Rumseldschuken als Vasallen bis etwa 1308.
 
 
T. T. Rice: Die S. (a. d. Engl., 1963);
 H. Horst: Die Staatsverwaltung der Großselǧūqen u. Ḫōrazmšāhs, 1038-1231 (1964);
 C. Cahen: Pre-Ottoman Turkey (London 1968);
 M. Strohmeier: Seldschuk. Gesch. u. türk. Geschichtswiss. (1984);
 S. G. Agadshanow: Der Staat der Seldschukiden u. Mittelasien im 11.-12. Jh. (1994).
 
II
Seldschuken
 
Der Name der Seldschuken geht auf Seldschuk, einen turkmenischen, ogusischen Stammeshäuptling zurück, der um 970 mit seinen Gefolgsleuten zum Islam übergetreten war. Im 11. Jahrhundert rückten die Seldschuken zunächst nach Süden vor und eroberten den Iran. Vom abbasidischen Kalifen nach Bagdad eingeladen, besetzten sie 1055 unter Tughrul Beg die Stadt und wurden Schutzherrscher über die Kalifen. 1071 schlug Alp Arslan (1063-72), Tughruls Neffe, die Byzantiner bei Manzikert, und die Turkmenen konnten sich in Anatolien festsetzen. Etwa zur selben Zeit gerieten auch Syrien und Palästina unter die Kontrolle der Seldschuken. Damit waren wesentliche Anstöße zu den Kreuzzügen gegeben, die jedoch die islamische Welt in Vorderasien nur am Rande betrafen.
 
Sultan Melikschah (1072-92), Sohn von Tughrul, sollte sich der Unterstützung durch Nisam al-Mulk (1018-92), einen der bedeutendsten Wesire in der islamischen Geschichte, erfreuen. Dieser wurde am Ende einer dreißigjährigen Amtszeit durch einen Assassinen ermordet. Die Assassinen (»haschschâschûn«, »Benutzer von Haschisch«, daher auch französisch »assassin«, »Mörder«), eine extremistische schiitische Sekte, hatten sich unter dem Agitator Hasan as-Sabbah (gest. 1124) als terroristische Gruppe in den Bergen südlich des Kaspischen Meeres (Bergfestung Alamut) etabliert und wurden erst 1256 durch die Mongolen vernichtet.
 
Nach dem Tode Melikschahs sollte das seldschukische Großreich rasch zerfallen. Zwar konnte Sultan Mohammed, ein Bruder Melikschahs, den Zersetzungserscheinungen noch Einhalt gebieten, doch sein Bruder Sandschar (1118-57) herrschte nur noch im Ostiran (Chorassan). In anderen Regionen Irans, in Syrien, dem Irak und Kleinasien bildeten sich Teilstaaten, die sich bekämpften. Von ihnen sollte das Reich der Rum-Seldschuken (»oströmische Seldschuken«) für Europa am wichtigsten werden. Unter Süleyman, dem Statthalter Alp Arslans, in Anatolien mit der Hauptstadt Konya gegründet, wurde es zur großen Gefahr einerseits für die Byzantiner, die 1176 bei Myriokephalon vernichtend geschlagen wurden, aber auch für die Kreuzfahrer, deren Landwege nach Palästina erheblich gestört wurden. Als Konstantinopel 1204 von den Kreuzrittern erobert wurde, schied es als Gegner für die Seldschuken aus, und Anatolien konnte vor allem unter Kaikobad I. (1220-37) eine kurze Blüte auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet erleben.
 
Das Ende des Reiches der Rum-Seldschuken kam durch den Vorstoß der Mongolen nach Kleinasien und die Niederlage am Kösedağ 1243; die Seldschuken mussten sich unterwerfen und wurden Vasallen der Mongolen, die eine zunehmend straffere eigene Verwaltung einführten. Die seldschukische Dynastie ging 1308 mit dem Tode von Mesud II. zu Ende, während der Westen des Landes bereits in selbstständige Kleinfürstentümer zerfallen war. Aus einem von ihnen sollte das Osmanische Reich hervorgehen.
 

Universal-Lexikon. 2012.

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